Woche 50/2022
GANNA / Home
(Berthold Records)
Eine kraftvolle Mischung aus neu interpretierten ukrainischen Volksliedern und Modern Jazz. Als Stimme des ukrainischen Widerstands ist Gannas künstlerisches Schaffen gleichermaßen wunderschön wie herzergreifend.
So klingt „Home“ – das neue Album (VÖ 2.12.2022) der Band GANNA um Sängerin und Bandleaderin Ganna Gryniva. Die gebürtige Ukrainerin kam 2002 im Alter von 13 Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Mit ihrer markanten, ausdrucksstarken Stimme nimmt sie dir Hörer mit auf sehr persönlich und politisch gefärbte Reise. „Ich bin in die Ukraine gereist, um landeskundliche Archive zu besuchen und um alte, traditionelle Lieder zu sammeln“, erklärt Gryniva und ergänzt: „Die Reise führte mich durch wunderschöne Berglandschaften in den Karpaten, in alte Kirchen, auf kleine, stimmungsvolle Musik-Festivals und zu besonderen Menschen.“
In Fasova, in der Nähe von Kiew, traf sie auf die Mitglieder des Barvinok-Chors – allesamt Frauen im Alter zwischen 70 und 80 Jahren. Dort nahm sie den Gesang zum Stück „Halochka“ auf. „Es ist der Name eines Mädchens – der Kosename von Halyna. Ihre Geschichte hat mich tief berührt. Weil sie allein mit ihrer Mutter lebt und hart arbeiten muss. Das Stück strahlt viel Liebe, aber auch Traurigkeit aus. Starke Frauen sind ein fundamentaler Bestandteil der ukrainischen Kultur. Ich selbst bin auch mit starken Frauen aufgewachsen. So wie meine Mutter, die klassische Pianistin ist.“
Ganna Gryniva hat Philosophie an der Universität Leipzig und Jazzgesang an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar studiert. Sie ist die treibende Kraft in ihrem Quintett. Zum GANNA Ensemble gehören Musina Ebobissé (sax), Povel Widestrand (p), Tom Berkmann (b) und Mathias Ruppnig (dr). „Ich bin für Input offen und sorge dafür, dass jeder Raum zur Entfaltung hat – aber am Ende bin ich es, bei der die musikalischen Fäden zusammenlaufen und die die Kompositionen und Arrangements schreibt“, unterstreicht Gryniva, zollt ihren Bandkollegen aber gleichzeitig großen Respekt.
„Tom Berkmann kommt aus Deutschland, Mathias Ruppnig aus Österreich. Beide sind gute Freunde und es ist eine große Freude, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Mathias war von Anfang an Mitglied der Band und Tom ist einfach der großartigste und zuverlässigste Bassist der Welt. Povel ist Schwede. Ich liebe seinen Sound und sein Spiel.“ Eine Saxofonstimme in ihrem Quintett konnte sie sich lange Zeit nicht vorstellen. „Aber als ich Musina, der aus Frankreich kommt, hörte, war ich derartig überwältigt, dass ich ihn einfach einladen musste“, erinnert sich die Bandleaderin.
Obwohl die Bandmitglieder aus verschiedenen musikalischen Kulturen kommen, klingen die Stücke des Albums wie aus einem Guss.
In ihrer Wahlheimat Berlin hilft Ganna Gryniva Musikern und Künstlern aus der Ukraine, ihren Weg zu finden. Sie setzt sich sehr für die Unabhängigkeit der Ukraine und ihr kulturelles Erbe ein. Als Sängerin sucht sie ihre eigene Stimme nicht ausschließlich mit dem Werkzeugkasten der Musik, sondern verbindet auf raffinierte Weise verschiedene Sinneswelten vom Jazz über ukrainischen Folk bis hin zu klassischer und experimenteller Musik und Tanz.
Als Stimme des ukrainischen Widerstands ist ihr künstlerisches Schaffen gleichermaßen wunderschön wie herzergreifend. Oder – wie es Matthias Wegner auf Deutschlandfunk Kultur formulierte: „starke Stimme, starker Song“ – der sicherlich
Spuren in der europäischen Jazzlandschaft hinterlassen wird. Anspieltipps: „Kolyskova“ und „Plyve Kacha“