Woche 03/2022

Jamestown Revival

Young Man (Jamestown Revival Recordings)

Jamestown Revival haben mit „Young Man“ das ruhigste Album ihrer bisherigen Karriere aufgenommen, das aber auch am meisten nachhallen dürfte. Aufgenommen in ihrer texanischen Heimat, ist es ihr erstes Projekt ohne E-Gitarren. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf gekonntem Songwriting, makellosen Harmonien und kompliziertem Fingerpicking. Darüber hinaus ist es das erste Mal, dass die Bandmitglieder Jonathan Clay und Zach Chance ein Album mit einem Produzenten aufgenommen haben – in diesem Fall mit Robert Ellis, einem texanischen Landsmann und selbst Musiker.

„Ich glaube wirklich, dass dies ein Album über das Erwachsenwerden und das Eingewöhnen in eine Identität ist“, sagt Clay. „Es geht um den Verlust der eigenen Identität und die Suche nach ihr. Es geht um das Gefühl, sie gefunden zu haben und dann festzustellen, dass sie es nicht ist. Und es geht um unsere Erfahrungen in den letzten 15 Jahren des Musikmachens – die Erfolge und Misserfolge und all diese Dinge zusammen.“

Klanglich lässt sich das Album von Crosby, Stills, Nash & Young und den Doobie Brothers inspirieren, hat aber auch eine staubige Western-Atmosphäre, ähnlich wie ein Guy Clark- oder Townes Van Zandt-Album, bei dem die detaillierte Kulisse und die akustischen Arrangements die Geschichte ebenso eloquent vermitteln wie die Texte. „Dies ist unser erster Ausflug mit der Fiddle und wir haben uns nicht zurückgehalten“, sagt Chance. „Wir haben viele dieser Songs über die Fragen und Perspektiven geschrieben, jetzt, wo wir viel älter sind und das Ganze schon länger machen. Manchmal ist es fast so, als würden wir ein Gespräch mit uns selbst führen. Wir wollten, dass es sich erdig und bodenständig anfühlt, also war die Fiddle ein großer Teil dieser Identität“.

Ein Gefühl von Weite kam bei früheren Projekten wie „Utah“ (2014), das in den Wasatch Mountains aufgenommen wurde, und „San Isabel“ von 2019, das in einer Hütte in Colorado aufgenommen wurde, ganz natürlich auf. Dieses Mal entschied sich die Band zum ersten Mal für ein Studio und wählte Niles City Sound in Fort Worth, Texas. Der Mitbegründer des Studios, Josh Block, hat „Young Man“ so aufgenommen, dass man das Gefühl hat, dass die Musiker zusammensitzen, singen und spielen, ohne Kopfhörer oder Click-Tracks. Zach Chance und Jonathan Clay werden bei der Session von ihrer langjährigen Rhythmusgruppe, bestehend aus Bassist Nick Bearden und Schlagzeuger Ed Benrock, unterstützt.

„Die Songs bewegen sich, die Tempi bewegen sich, aber wir wollten wirklich die Performance einfangen“, erklärt Clay. „Wir wollten, dass die Songs nach Belieben drängen und ziehen und sich nicht an ein Raster halten müssen. Es fühlt sich an, als würden die Songs zu sehr geradlinig werden, wenn das passiert, also war es cool, in einem Studio mit einem Tontechniker und Produzenten zu sein, der diese Idee wirklich unterstützt hat.“

Young Man beginnt mit „Coyote“, einer klagenden Ballade, die das Duo auf ihrer Ranch in der Nähe von Huntsville, Texas, etwa eine Stunde nördlich ihrer Heimatstadt Magnolia, schrieb. Mit ihren einsamen Tönen und dem verschmitzten Titelcharakter gibt sie den Ton für das Album vor und zieht die Hörer mit ihren gemischten Stimmen und einer Erzählung, die zu einem Lagerfeuer passt, in ihren Bann. Songs wie „Young Man“, „Moving Man“, „Northbound“ und vor allem „These Days“ thematisieren die rastlose Gemütslage der Band, die zu einem nicht geringen Teil auf die Pandemie zurückzuführen ist.

Es war jedoch eine andere Zusammenkunft, die Jamestown Revival auf den Weg zu „Young Man“ brachte. Nachdem sie ein Jahr lang nicht zusammen musiziert hatten, luden Chance und Clay ihre Band zu sich auf die Ranch ein, um dort abzuhängen und ein paar Songs in ihrer Heuscheune aufzunehmen. Die Ergebnisse dienten als eine Art ungewollte Vorproduktion und brachten Ideen hervor, die sie schließlich in die Sessions mit Ellis einbrachten. Während dieser Zeit schrieben sie auch „Coyote“ und den Abschluss des Albums, „Working on Love“.

Zach Chance und Jonathan Clay sehen das Album als eine Sammlung von Songs, die man wie ein Buch in einem Stück durchspielen bzw. hören sollte, und dazu braucht es nicht unbedingt ein Lagerfeuer. „Young Man“ ist ein Album, das wunderbar geeignet ist, sich beim Hören aus aller Unbill und Hektik des Alltags temporär zu verabschieden, gewissermaßen die Seele wieder aufzutanken. Anspieltipps: „Coyote“ und „Northbound“.