Woche 3/2023
Dreiviertelblut / Plié
(Millaphon Records)
Dreiviertelblut, dieses hochmusikalische Septett – Gerd Baumann (g, voc), Sebastian Horn (voc), Dominik Glöbl (tp, flh, voc), Florian Riedl (cl, b-cl, Moog), Flurin Mück (dr), Luke Cyrus Goetze (g, Lapsteel, Dobro), Benny Schäfer (b), das so eine berauschende Melange aus Virtuosität und Poesie hinzaubern kann, hat Anfang Dezember 2022 mit „Plié“ sein viertes Studio-Album veröffentlicht. .
Die Münchner Band, deren Sound schon auch mal als „gewaltig“, die Performance als „umwerfend“ (Merkur) beschrieben wird, umspannt in 12 (elf neuen) Songs ein weites Spektrum weltlicher und himmlischer Gefühle und scheut sich nicht, auch die Tür zur Hölle aufzustoßen. Musikalisch und in Worten durchstreifen sie die Höhen und Tiefen des Seins, fliegen vom reinsten Glück in die schwärzeste Verzweiflung. Dem Dunkel folgt aber stets ein Lächeln. Und weil die Liebe zur Finsternis in diesem kruden, bayerischen Humor daherkommt, zeigt sie sich zutiefst menschlich, mit Herz, in einer zeitlosen Schönheit und einer berührenden Poesie.
Dreiviertelblut schaut sehr genau hin und singt in schonungslosen Sätzen davon. Meist auf bairisch, mal auch auf englisch, aber immer mit einer bayerischen Seele. Und auch wenn es um den Wahnsinn der Zeit und der Suche nach Verständnis geht, schwingt darin immer die grundsätzliche Weigerung zu verzweifeln mit.
Die atmosphärisch dichten Kompositionen mit den transparenten Arrangements für Gitarren, Bläser, Akkordeon, Schlagzeug und mehrstimmigem Gesang des Filmkomponisten Gerd Baumann beflügeln Sebastian Horns krude Geschichten über Leben und Tod und das, was dazwischen liegt: eine Art „phantastischer Realismus“, eine Brücke zwischen Diesseits und Jenseits.
„Der Himme is do, wo i bin“ resümiert Sebastian Horn in der Erleuchtungs-Sterbesequenz „Im Schnee“, erinnert sich in „Raunacht“ an dunkle Zeiten und erkennt die Dualität im Menschen als sonnenanbetender Vampir des Schattens („Insomnia“). Das „Lied vom unbekannten Soldaten“ und seinen Gedanken in einem Massengrab hat unbeabsichtigt höchste Aktualität, steht als Mahnung an die
Sinnlosigkeit des Krieges, an fragwürdige Verehrung verstorbener Helden. Schmunzelnd dagegen die „Ewige Wolke“, ein Liebes- und/oder Abhängigkeitslied über die Beziehung Mensch und Smartphone.
Dreiviertelblut macht deutlich: Die Kunst ist schon da! Mitten im Leben! Sie wartet nur darauf, aus dem Äther gezapft zu werden: „Und je feiner das Gehirn eingestellt ist, um so genauer wird es das Werk wiedergeben“, meint Sebastian Horn. Das Album ist über einen längeren Prozess entstanden und wurde während dreier Live Sessions aufgenommen, sodass es sich anhört als wäre man „live“ dabei gewesen. Anspieltipps: „Im Schnee“ und „Das Lied vom unbekannten Soldaten“.