
Woche 30/2025
Fabia Mantwill Orchestra
In.Sight (Groundup Music)
Ein Streicherarrangement öffnet einen Vorhang. Hinter diesem Vorhang offenbart sich auf breiter Leinwand eine Landschaft. Eine Gitarre führt uns auf den Weg, Harfenklänge geben uns eine vage Ahnung vom Horizont, bis sich immer mehr Instrumente hinzugesellen und besagter Landschaft Gestalt und Tiefe verleihen. Es ist kein konkreter Ort, der hier beschrieben wird, sondern eine Kombination aus Sehnsucht, Neugier und imaginärer Erinnerung, die sich in einen individuell variablen Freiheitsdrang übersetzt. Und das ist nur der Anfang.
Fabia Mantwill ist eine Komponistin, Saxofonistin und Bandleaderin aus Berlin, die längst alle Scheuklappen abgelegt hat. Jazz, Folklore, Americana, Pop, Klassik, Soundtrack, Exotica – nichts davon käme ihrer Musik selbst in Kombinationen der genannten Komponenten nahe.
Auf ihrem Debütalbum EM.PErience brachte sie 2021 ihren Anspruch bereits voll zum Ausdruck. Doch zu diesem Zeitpunkt musste sie noch manifestieren, wer sie ist und was sie will. Ihr zweites Album „In.Sight“ erzählt nun eine ganz andere Geschichte.
Zwar erscheint das Werk im klassischen Albumformat, doch in diesem Fall ist das Album nur das Vehikel, auf dem die Musik transportiert wird. Denn „In.Sight“ ist ein klingendes Spektakel, das sich kühn über alle merkantilen Optionen hinwegsetzt, ein zeitloses Ereignis, das sich hinter bahnbrechenden Werken der Musikgeschichte wie Antonin Dvořáks Sinfonie „Aus der neuen Welt“, Robert Graettingers legendärer Suite „City Of Glass“ oder Elmer Bernsteins Soundtracks nicht zu verstecken braucht. „Viele Entscheidungen, die ich traf, fielen eher unbewusst“, erinnert sich Fabia Mantwill. „Ich habe aber gelernt, auf das zu vertrauen, was passiert und sich daraus ergibt. Das Album entstand aus meinem Inneren heraus. Es bringt zum Ausdruck, was mich selbst bewegt und berührt.“
Vorsicht vor Übertreibungen ist in jedem Fall geboten. Zu schnell können falsche Erwartungen geweckt werden. Im Fall von „In.Sight“ ist jede Zurückhaltung jedoch völlig fehl am Platz. Was die junge Berlinerin hier zu Gehör bringt, hat man in dieser Form noch nie gehört. Und das nicht, weil sie Genregrenzen aufhebt oder Epochen neu definiert, auch nicht, weil sie sich rücksichtslos über Erwartungen und Hörgewohnheiten jeglicher Couleur hinwegsetzt.
Nicht einmal, weil ihr ein Farbspektrum zur Verfügung steht, das seinesgleichen sucht. „In.Sight“ so bedeutend macht, ist der Umstand, dass seine Schöpferin unumschränkt groß denkt, ohne das Kleine aus dem Blick zu verlieren. Sie formt eine gigantische Klangskulptur, die sich bei genauem Hinhören aus Tausenden und Abertausenden winziger Partikel aus der ganzen Welt zusammensetzt.
Es gibt in Fabia Mantwill‘s Musikverständnis nichts, das nicht geht. Es geht lediglich darum, das passende Level zu finden, auf dem es vereinbar ist. Die unfassbare Kompatibilität aller nur denkbaren existierenden und virtuellen Idiome stürzen in einem Niagarafall der nimmer versiegenden Imagination auf die Wahrnehmung der Hörer herab. Anspieltipp: „Satoyama“ und „Sleeping Giant“.