Woche 48/2024
The Bongo Hop
La Pata Coja (Underdog Records)
Etienne Sevet alias The Bongo Hop mit seinem am 15.November veröffentlichten dritten Album „La Pata Coja“ gleich mehrmals den Atlantik, immer auf der Suche nach seinem musikalischen Traumland aus farbenfroh-leuchtenden, hochinfektiös-tanzbaren, die Genres ad absurdum führenden groovy Stücken. Auf den acht Passagen nimmt der mittlerweile in Lyon lebende Musiker seine vom Sextett zum Oktett gewachsene Band sowie viele Gäste mit, darunter Moonlight Benjamin und Lucas Santtana, den Etienne schon während seiner Arbeit als Musikjournalist interviewt und bewundert hatte, sowie seine langjährige musikalische Weggefährtin Nidia Gongora (Quantic, Ondatropica).
Es ist ein Album der großen Fülle geworden. Mit Portugiesisch, Spanisch, Kreol sowie Bangangte ist es reich an Sprachen, und mit manchmal dunklen und weirden, manchmal leuchtenden und positiven Klängen reich an musikalischen Kontrasten. Dabei jedoch immer mit einem Afro-Jazz-Ansatz, der klarer zum Vorschein tritt als auf den zwei Vorgängeralben und der EP „La ñapa“. Bei diesen arbeitete The Bongo Hop im Heimstudio mit Produzent und Multi-Instrumentalist Bruno ‚Patchworks‘ Hovart zusammen. In dieser Konstellation konnte der Sound mit fast endlos scheinenden Modifizierungsmöglichkeiten nach jeder Session verändert werden. Für das neue Album suchte Etienne nach einem neuen Ansatz.
So besteht „La Pata Coja“ aus Session-Aufnahmen, die nahe Lyon, in Montpellier und in Cali entstanden sind und nachträglich nicht mehr verändert wurden: „Es wirkt wie live auf der Bühne mitgeschnitten. Acht Musiker, Musikerinnen, acht Instrumente, Punkt!“ so Etienne und weiter, „Das zwingt dich sehr gut durchdachte Entscheidungen für die Kompositionen und Arrangements zu treffen, damit du direkt auf den Punkt kommen kannst, was sich in einer spezifischen Ästhetik und Klangpalette zeigt.“
Der Albumtitel „La Pata Coja“ („das lahmende Bein“) und das eine Bananenschale zierende Cover beziehen sich auf Etiennes Rekonvaleszenzzeit nach einer Kreuzbandverletzung. Diese zog er sich bei einem Sprung in einen Fluss auf der Insel Dominica zu. Er fürchtete damals, dass er seine Lieblingsbeschäftigung, das Wandern, aufgeben müsse und so kam es zum Motiv der Bananenschale, auf der man bildlich und ganz konkret ausrutschen kann.
Als er die Grundidee an Nidia Gongora weitergab, eröffnete sich allerdings noch eine weitere Dimension, wie Etienne ausführt: „Zwei ihrer Brüder waren verstorben und später auch ihre Mutter, gerade als Nidia mit dem Schreiben beginnen wollte. So befand sie sich in einer absolut aussichtslosen Situation.“ Die beiden sprachen in dieser Zeit oft miteinander und stimmten darin überein, dass es Wunden gibt – egal wie groß oder klein sie sein mögen – die Menschen für immer verändern können. Die sie auf dem Rücken mit sich schleppen.
Ihr ganzes Leben ausgerutscht auf einer Bananenschale. „Und trotzdem geht man seinen Lebensweg“, so Etienne, „und mag sogar irgendwann wieder tanzen. Nicht ganz so leicht wie zuvor, nicht mit derselben Beweglichkeit, aber man ist mit seinem ‚pata coja‘ doch immer noch in Bewegung. Nidia mochte die Analogie und machte das Titelstück ganz zu ihrem eigenen.“
Die Analogie hat aber auch viel mit Etienne als Musiker zu tun. Erst spät im Leben fing er mit dem Musikmachen an und hatte nur wenig Ahnung von Musiktheorie und eingeschränkte, ihn sein ganzes Leben begleitende Möglichkeiten an seinem Instrument: „Aber es ist genau dieses Handicap,“ so der Musiker, „das deine Vorstellungskraft über deine Einschränkungen hinauswachsen lässt, so dass du letztlich dein ureigenes Ding machst.“ Anspieltipps: „L’oubli Mauve“ und „Ah ! Kumana“.