Photo © kerkau promotion

Woche 14/2023

Kaisers New World

Nighttrain (Calygram)

Wer rastet, der rostet. Wer drinnen bleibt, verpasst die Welt. Der Leipziger Gitarrist und Komponist Frank Kaiser hingegen ist und bleibt da draußen auf der Suche. Aufgewachsen im dörflichen Thüringen, zieht es ihn wieder und wieder in die Natur, zum Wasser, zum Wald. Die andere Seite von Frank Kaiser wühlt sich durch die Welt des Geists, des Intellekts. Heraus kommt dabei eine besondere Musik, die mit dem Leben ihres Urhebers eine Einheit bildet.

Der Musikwissenschaftler Dr. Adrian Kleinlosen von der University of California beschreibt das wie folgt: „Frank Kaisers Musik ist oft polyphon; die einzelnen Stimmen agieren mitunter unabhängig voneinander bzw. greifen dergestalt ineinander, dass sie sich zu einer komplexen Faktur zusammenfügen. Darin unterscheidet sich die Musik Kaisers von vieler anderer Jazzmusik.“ Frank Kaiser selbst beschreibt seine Musik als „Spielplatz für Erwachsene“. Dieses Bild erklärt sich beim Hören sofort. Kaisers Klänge oszillieren in einem Miteinander aus Jazz, Groove und Weltmusik, bei dem sich immer neue Entwicklungen ergeben. Dabei darf auch gerne mal eine Frage offenbleiben.

Vor gut zwei Jahren hat sich der Leipziger Gitarrist und Komponist erneut auf die Suche gemacht. Neue Sounds mussten her. Mit einer neuen Gitarre war es nicht getan – auch wenn er sich die ebenfalls hat bauen lassen.
Nun kommt Neues vor allem durch Begegnungen in die Welt. Begegnungen von Menschen, von Generationen, von Kulturen. Aus eben solchen Verschmelzungen ging das Akkordeon-World-Jazz-Quartett „Kaisers New World“ hervor, das mit „Nighttrain“ nun sein Debutalbum vorlegt.

Die Platte ist ein Kaleidoskop für die Ohren geworden. An allen Ecken und Enden glitzern, funkeln und flimmern Einflüsse, Klangfarben und Stile auf. Vor allem aber versteht es das Ensemble um Frank Kaiser eindrucksvoll, mit seinen Aufnahmen Geschichten zu erzählen.

Der Titelsong „Nighttrain“ beginnt mit dem Geräusch eines fahrenden Zuges. Das rhythmische Schnaufen von Achsen und Rädern geht nahtlos über in einen Shuffle-Groove, den Kontrabass und Schlagzeug souverän auf die Schienen legen. Nur ein paar Takte später sitzt man zusammen mit allen Mitgliedern des Quartetts im Abteil. Draußen ist es dunkel, irgendwo nirgendwo.

In der Scheibe spiegeln sich nur die Lichter aus dem Inneren des Zugs und niemand weiß, wie spät es eigentlich ist. Die Reisezeit verkürzen sich die Jungs auf ihrem Vierer damit, Geschichten zu erzählen – gemeinsam, sich gegenseitig und den Lauschenden. Entstanden ist der Song „Nighttrain“ in Corona-Zeiten, als die Arbeit oft bis tief in die Nacht ging und die Sehnsucht nach einer Reise durch alle Ritzen und Lücken kroch.

Wie greifbar dieses Gefühl beim Hören wird, ist eine der Stärken des Albums und genau das, was hier mit dem Erzählen von Geschichten gemeint ist. Frank Kaiser beweist als Solist ein feines Gespür für narrative Bögen. Die Kompositionen und Jams auf „Nighttrain“ zeichnen sich durch ein dynamisches Auf und Ab aus.

Mal erhebt die neue Gitarre ihre Stimme, nur um im nächsten Moment in ein leiseres Register zu wechseln, das Lauschenden Geheimnisse anvertraut. In Passagen voller Action schwellen die Soli wie in Black Mustang an zum angezerrten Schreien eines Bluessängers. Der Sound wird rougher, viele Noten fallen in wenigen Takten.

Neben der Gitarre sticht vor allem das Akkordeon auf „Nighttrain“ heraus. Der aus Sankt Petersburg stammende und heute in Berlin lebende Valentin Butt ist ein Virtuose mit einem klanggewaltigen Facettenreichtum, der schon mit Ute Lemper und weiteren bekannten Größen auf der Bühne stand. Der im Jazz-Bereich eher untypische Sound seines Bajans, der russischen Variante des Akkordeons, fügt sich kongenial in das Ensemble aus Drums, Kontrabass und E-Gitarre ein.

Gerahmt werden die Geschichten von Gitarre und Bajan von Hans Otto am Schlagzeug und Lukas Growe am Kontrabass. Die beiden Hochschulabsolventen haben bereits internationale Preise abgeräumt und sind genau das aufmerksame Rhythmus-Duo, das Frank Kaiser und Valentin Butt brauchen. Growe und Otto haben ein souveränes Gefühl dafür, was die Musik gerade braucht.

In der Summe ist „Nighttrain“ ein gelungenes Debut, das dank der des tollen Recordings im Berliner Studio „Bonello“ und dem Mastering von Johannes Ziemann und Fabian Koppri fett und voll, aber nie überladen klingt. Die Platte hört sich an, als würden Kaiser, Butt, Otto und Growe direkt im eigenen Gehirn spielen. Anspieltipps: „Leipzig Tango“ und „Black Mustang“. (Photo © kerkau promotion)