Woche 19/2022

Kika Sprangers

Mind‘s Eye (Berthold Records)

Die Saxofonistin Kika Sprangers gehört zu den spannendsten und ausdrucksstärksten Jazzmusikerinnen der Niederlande. Das neue Album ihres Quintetts ist der Nachfolger ihres Debüts „Human Traits“, das 2019 für den Edison Jazz Award nominiert war – dem niederländischen Äquivalent zum Grammy. Auf beiden Alben widmet sich Sprangers der Frage, was uns menschlich macht. Ein wesentlicher Faktor ist für sie unsere Vorstellungskraft. Zu dieser Überzeugung gelangte sie während der Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie. Eine Zeit, in der sie den Tivoli Vredenburg menschenleer erlebte. In dem großen Musikzentrum im Herzen von Utrecht entstanden die Kompositionen für „Mind`s Eye“.

Während der Lockdown-Phasen musste Kika Sprangers gewohnte Arbeitsabläufe über Bord werfen. Laut den lokalen Corona-Regeln durfte sie sich immer nur mit einem Mitglied ihres Quintetts (Kika Sprangers (ss, as), Anna Serierse (voc), Koen SchalkwiJk (p), Alessandro Fongaro (b), Willem Romers (dr) treffen, um an neuem Material zu arbeiten. Diese ungewohnte Konstellation hatte jedoch einen unerwarteten, positiven Nebeneffekt, der den Produktionsprozess wesentlich beeinflussen sollte.

Sie stellte sich die Frage, ob es überhaupt noch menschliche Spuren in einem derart großen Gebäudekomplex gibt, dessen Türen verschlossen sind und dessen Lichter automatisch nach einer Stunde erlöschen. Gleiches galt für die gespenstisch stillen Gänge, die normalerweise vom Brodeln einer hereinströmenden Menschenmenge erfüllt sind. „Ich hätte nie gedacht, dass mich diese Stille und Leere inspirieren würde. Aber kurioserweise hat diese verlassene Konzerthalle in mir das Gefühl von unendlicher Akustik geweckt. Es gab dort im wahrsten Sinne des Wortes nichts und niemanden – aber genau das regte meine Fantasie an. Da wurde mir klar, dass es genau das ist, was uns Menschen ausmacht: die Fähigkeit, uns etwas vorzustellen“, blickt Sprangers auf den ungewöhnlichen Produktionsprozess zurück.

Und so lud sie sich nach und nach jedes Bandmitglied ein, um mit ihnen jeweils einen Tag lang an neuem Material zu arbeiten. „Wir spielten entweder im Duo auf der großen Konzertbühne oder in kompletter Besetzung in einem der kleineren Clubs. Unsere Improvisationen waren die Keimzelle für neue Kompositionen. Ein enorm verdichteter kreativer Prozess, wie er nur in Lockdown-Zeiten mit entsprechend leeren Terminkalendern aller Beteiligten entstehen konnte!“ so Kika Sprangers über den Produktionsprozess von „Mind’s Eye“. Das Ergebnis ist ein äußerst vielseitiges Konzeptalbum, das seine geneigte Hörerschaft von der ersten Note an in den Bann zieht. Anspieltipps: „All We Have Left“ und „Film Noir“. (Photo © ub-comm)