Woche 35/2022

Trio SR9

Déja Vu (No Format!)

Perkussionisten sind mit Sicherheit die atypischsten Musiker in klassischen Orchestern. Sie wechseln nahtlos von der Triangel zur Quijada, vom Becken zum chinesischen Gong, vom Vibraphon zur Windmaschine. So ist es kein Wunder, dass viele von ihnen schon früh musikalische Abwege beschreiten.

Paul Changarnier, Nicolas Cousin und Alexandre Esperet vom Trio SR 9 könnten als Paradebeispiel dafür gelten. Ihr Hauptaugenmerk gilt der Marimba, einer Art lateinamerikanischem Xylophon. Sie ist mit dem afrikanischen Balafon verwandt und steht im Zentrum der künstlerischen Träume des Trios. Für das Instrument haben die drei Musiker Bach, Satie, Ravel und zeitgenössische Kompositionen adaptiert und dafür viele prestigeträchtige Preise gewonnen

Damit endete aber die Abenteuerlust der jungen Rhythmusmeister noch lange nicht. Der Komponist und Perkussionist Clément Ducol, wie auch Paul, Nicolas und Alexandre ein Absolvent des Conservatoire National Supérieur de Lyon, schlug im Gegensatz zum Trio nach dem Ende seines Studiums eine Poprichtung ein, die ihn zu Camille, Alain Souchon sowie Christophe und Vincent Delerm führte.

Er stellte dem Trio 2019 das Label Nø Førmat! und die Idee vor, an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Das Ziel: sich Pophits anzunehmen, die in Megastudios auf der anderen Seite des Atlantiks mit all ihren Spezialeffekten produziert worden waren, und daraus Pop ohne Maschinen, ohne Gitarren, Bass oder Synthesizer zu machen. Nach drei ersten Singles ist nun am 26.08.2022 das Album „Déjà Vu“ erschienen.

Für die drei am Konservatorium in klassischer Musik ausgebildeten Musiker gibt es keine E- vs. U-Berührungsängste, auch weil sie ganz genau wissen, dass viele Themen in der klassischen Musik Adaptionen populärer, lange schon vergessener Tanzmelodien sind. So wählten sie gemeinsam mit Ducol passende Stücke aus und nahmen sich globale Hits von Rihanna, Billie Eilish oder Pharrell Williams vor. Dabei entkleidete Ducol die Stücke bis auf die Knochen und schuf einen Score mit vielen Arrangement-Anregungen, bevor das Trio sie in Musik übersetzte.

Der nächste Schritt war ein handwerklicher: die Musiker mussten eine große Anzahl von Holzklangstäben erdenken und nach ihren Wünschen herstellen lassen. Die Anforderung: Sie mussten so tiefe Töne wie ein verstärkter Bass hervorbringen können. Oder sie brachten Aluminiumblätter an den Marimbas an, um den Klang zu verändern.

Alles auf dem Album ist komplett künstlich und dennoch komplett natürlich, logisch analog und strikt choreographiert: die Bewegung der Hände auf den Holzklangstäben, der Wechsel von einem Instrument zum anderen, oder einem Paar Schlagzeugstöcke zum nächsten. Mit der Präzision und paraphysischen Vorstellungskraft von Hochseilakrobaten in einem Taschenorchester lassen die drei Klangwissenschaftler die Schlägel über die Klangstäbe der Marimbas tanzen und Klänge aus dem Holz entstehen, die erst im Bauch vibrieren, bevor sie in den Kopf gehen.

Für die perfekte Umsetzung suchte sich das Trio Vokalisten aus, die zu ihrer tonalen Alchemie passten wie Camille, Blick Bassy, Malik Djoudi, Camélia Jordana, Sandra Nkakés. Alle brachten ihre eigenen Inspirationen, Energien, ihre Zartheit, Verrücktheit und Tausende andere Nuancen mit ein in dieses “Déjà Vu”, das Betrachten einer alten Liebe mit neuen Augen, einem Lufthauch, der von weit weg kommt, aber heute entstanden sein könnte, irgendwie bekannt, aber gleichzeitig noch nie zuvor gesehen. Anspieltipps: „One Last Time (feat Blick Bassy)“ und „Video Games (feat Sandra Nkaké)“. (Photo © ub-comm)